Dunkle Poesie, beschmiert mit Kunstblut
Bildungseinschub: "Penny Dreadfuls" waren so was wie Groschenromane: fiktionale, reißerische literarische Werke, die im England des 19. Jahrhunderts seriell erschienen und - daher der Name - einen Penny kosteten. Die Showtime-Horror-Serie zollt dieser Schundliteratur nicht nur durch ihr Szenario Tribut (die Handlung spielt in London Ende des 19. Jahrhunderts), sondern auch durch ihre sensationalistische Inszenierung und Motive. Der übergreifende Story-Bogen der ersten Staffel dreht sich um Sir Malcolm (fortan der Abenteurer-Opi), einen Erforscher, dessen Tochter Mina entführt wurde. Natürlich nicht von irgendeinem austauschbaren Perversen, sondern, wie schnell klar wird, von blutgeilen Vampiren. Zügig versammelt Abenteurer-Opi einen Haufen Verbündeter um sich. Mr. Chandler (Josh Hartnett), ein amerikanischer Showman und fabulöser Schütze, wird von der mysteriösen Vanessa Ives (Eva Green) angeheuert, einer Kindheitsfreundin der verschollenen Mina. Weil der Gruppe so aber noch ein Hirn fehlt, holt man kurzerhand noch Victor Frankenstein ins Boot.
Im Verlauf der acht Folgen, die es jeweils auf eine knappe Stunde Laufzeit schaffen, webt Penny Dreadful ein blutrotes Leichentuch, dessen Stoff aus altbekannten Horror-Motiven gewoben ist: Vampire, Werwölfe, der verrückte Wissenschaftler und sein Monster, Totenerweckung, Besessenheit & Exorzismus. Die einzelnen Subplots sind mitreißend, vereinnahmend und leben von einem cleveren Spiel mit Schein-Gegensätzen. So zerbricht die potthässliche Schöpfung Frankensteins an ihrer wenig attraktiven Visage, während Hedonist Dorian Gray (wer schon mal ein Buch gelesen hat, könnte die Figur kennen) jede Frau und jeden Typen bekommt, auf den er gerade Bock hat. Seine schicksalhafte Begegnung mit Eva-Green-Frau bringt wiederum Geheimnisse über die undurchschaubare Schönheit zum Vorschein, welche im Zentrum der zweiten Staffelhälfte stehen. Etwas Dunkles schlummert in der guten Dame - und damit ist nicht (nur?) eins von Dorians Sexspielzeugen gemeint. Wer schon mal sehen wollte, wie Eva Green von einer unsichtbaren, dämonischen Macht gefickt wird, sollte hellhörig werden (und ehrlich, wer will das nicht?)
Penny Dreadful lebt von starkem Schauspiel (Eva Green ist großartig, aber auch der zerrissene Frankenstein-Typ sowie der Rest der Hauptfiguren), seiner konsequenten Düster-Stimmung, die so gut wie keinen Comic Relief kennt, sowie seiner reißerischen Natur. Die wirksam inszenierten, aber insgesamt zurückhaltend platzierten Action-Sequenzen schmieren den Schirm mit einer anständigen Menge Kunstblut zu, während rund um Charaktere wie Dorian, Eva-Green-Frau und die Nutte, in die Mr. Chandler sich verliebt, obligatorisch auch einiges an Sexzeug passiert. Wie man das aus Game of Thrones und True Blood kennt, hat das aber keinerlei spielerisches Selbstverständnis, sondern wirkt zu gewollt. Besonders die Gay-Action zwischen Dorian und Mr. Chandler wirkt, als würde ein prüder Amerikaner das Maximum an sexuellem Tabubruch ersinnen wollen.
Trotzdem startet Penny Dreadful gleich in seiner ersten Staffel als starke Mixtur aus Horror, Drama und Thriller. Am stärksten wird die Serie in den Momenten, in denen sie die eigene Natur thematisiert: Frankensteins Monster findet irgendwann eine Stelle im Grand Guignol (das hier erstens in London statt Frankreich steht und zur Zeit der Handlung übrigens noch gar nicht existiert hat, wobei diese historische Tatsachenverdrehung super zur Ästhetik der Penny Dreadfuls passt), einem Theater, das mit reißerischen Stücken und viel Kunstblut aufwartet. Oben auf der Bühne werden Jungfrauen von Werwölfen zerrissen, der Zuschauer staunt über das blutige Spektakel, während unter den Kulissen Frankensteins Monster die - nicht Fäden - Seile zieht und das Blut pumpt. In seiner Freizeit liest er Paradise Lost, zitiert die berühmten Worte: Did I request thee, Maker, from my clay / To mould me Man, did I solicit thee / From darkness to promote me.
So ist, um es kurz zu machen, auch Penny Dreadful: dunkle Poesie, beschmiert mit Kunstblut.
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