Mittwoch, 9. Dezember 2015

Fallout 4 < Fallout 3 < New Vegas: Warum früher alles besser war.

Früher war alles besser. Mit diesem Gefühl sind Neonazis und ins Heim abgeschobene Omis nicht allein. Wir alle setzen uns von Zeit zu Zeit das rosarote Nasenfahrrad auf. Erst in der Retrospektive, aus der zeitlichen Distanz heraus, dämmert uns, wie verrückt eine bestimmte Ex war, was für beschissene Klamotten wir in den jämmerlichen Jahren unter 20 getragen haben und reaktionär, affektiert und verwerflich unsere Meinung über ALLES war (man hatte ja eine Meinung zu allem), bevor wir zu so etwas wie einem vollständigen Menschen wurden.


Ich habe Fallout 3 geliebt. Ich habe New Vegas noch viel mehr geliebt. Als Fallout 4 kam, habe ich es in den ersten sieben Tagen auf über 50 Stunden geschafft. Real-Life-Dinge (lästige Dinge wie Arbeit, Wäsche) kamen dazwischen. In der Zeit, in der ich nicht Fallout 4 gespielt habe, drehten sich meine Gedanken um Fallout 4. Es war eine wundervolle Zeit mit einem tollen Spiel. Aber etwas hat gefehlt. Als ich genug hatte, habe ich Fallout 3 eingelegt (in die X One. Danke, Rückwärtskompatibiliät), um einen zeitnahen, direkten Vergleich zu haben. Es war das dritte Mal, dass ich Fallout 3 "durchgespielt" habe, falls man bei Fallout überhaupt davon reden kann. Waren meine Erinnerungen besser, glamouröser, signifikanter und großartiger als die tatsächliche Sache?


Nein. Im Gegenteil. Fallout 3 ist noch immer eins der besten RPGs, die ich je gespielt habe. Schon der Prolog in Vault 101 ist - ironisch angesichts der Tatsache, dass die Welt an der Oberfläche "tot" ist - voller Leben. Voller ausgearbeiteter Figuren, Hintergrundgeschichten, Lore und, ja, Fraktionen. Der machthungrige Aufseher. Butch und seine Tunnel-Snakes-Idioten-Gang. Diese Freundin des Lone Wanderers, deren Namen zu googeln ich gerade zu faul bin. Schon da hat man das Gefühl, dass die einzelnen Figuren viel mehr zu sagen haben als die in Fallout 4 - was auch so bleibt. Als Spieler kann ich jedem NPC in der Welt alle möglichen dummen Fragen stellen, erfahre noch viel mehr über die einzelnen Fraktionen, als das in Fallout 4 der Fall ist. Wenn man dann irgendwann das Licht des Wastelands erblickt, stolpert man direkt über Megaton. Ein Wall aus Flugzeugwrackteilen beschützt die Siedlung, in deren Zentrum eine nicht detonierte Atombombe von einem Haufen Spinner - Church of Atom - angebetet wird. Wenn man Repair Skills hat, kann man den Blindgänger entschärfen; sehr zur Freude des örtlichen Sheriffs. Oder aber man entschließt sich, einem dubiosen Typen zu helfen, das Ding in die Luft zu jagen und damit einem gewissen Tenpenny einen Gefallen zu tun.


Für einen Großteil der Spieler von Fallout 3 wird dies die erste größere Quest sein, der Moment ist prägend und atmet den Geist der vielen, noch folgenden Spielstunden. Ein Konflikt, angesiedelt in einem bemerkenswerten, kuriosen und ideenreichen Szenario, dessen Auflösung mehrere Herangehensweisen zulässt - gekoppelt an Moral als Gamedesign-Konzept. Das brillante Quest-Design und die unzähligen verschrobenen Storys, die damit einhergehen, gehören zu den größten Stärken von Fallout 3. Im Capital Wasteland warten groteske Baum-Mensch-Mutanten mit Todeswunsch auf den Lone Wanderer; Roboter, die sich wegen ihrer Programmierung für eine Aufführung im Jahr 2077 für Gründungsväter der USA halten und die mit aller Kraft die Unabhängigkeitserklärung hüten; arrogante Kinder, die in einer Art unterirdischem Neverland leben und die Alternde vor die Tür setzen; fanatische Nuka-Cola-Fangirls, die ihren Kühlschrank um jeden Preis mit der bläulich schimmernden - kommt von der beigemischten Strahlung - Nuka Cola Quantum füllen wollen. Das alles ist nicht nur einzigartig, einprägsam und in den Bann ziehend, es bietet auch gleichzeitig so viele spielerische und gedankliche Ansätze bezüglich der Problemlösungen.



Im wundersamen Oasis trifft der Lone Wanderer beispielsweise auf einen Kult skurriler Baumanbeter - komplett mit Zweigen an den Klamotten und allem. Und irgendwas ist noch anders: Ach, genau, es ist grün! Im Gegensatz zur kargen, kein Leben gebärenden Einöde des Wastelands, in der dank des atomaren Kriegs im Jahr 2077 erstmal nicht so schnell was wächst, gedeihen in Oasis Pflanzen. Mit der Zeit stellt sich raus, dass das seltsame Phänomen mit dem sprechenden Baum Herbert  - oder Bob; lange Geschichte - zu tun hat. Er selbst, als einstiger Mensch im Rahmen einer Mutation mit einem Baum verwachsen, will sterben, sein bewegungsloses Gefängnis im Diesseits für immer verlassen. Der Lone Wanderer soll sein unterirdisches Herz zerstören. Innerhalb des Baumgott-Kults, von dem der Baum selbst so gar nichts hält, gibt es zwei Lager. Manche plädieren dafür, das Wachstum des Baums künstlich zu beschleunigen, damit das gesamte Wasteland davon profitiert und bald auch jenseits von Oasis wieder Leben gedeihen kann. Das andere Lager interpretiert Herberts Todeswunsch als Rätsel zur Prüfung des Glaubens, denkt, das herbeigesehnte "Sterben" sei in Wahrheit der Wunsch nach einem Wachstumsstopp, den die Jünger Herbert ermöglichen sollen. Man selbst muss sich entscheiden, was schwerer wiegt: das große Ganze? Eigenwillige Exegese? Oder der simple Wunsch eines Einzelnen nach dem Ende seiner Pein?


Es geht mir nicht um einen Detailvergleich mit Fallout 4, das in einzelnen Aspekten sogar besser sein mag als seine Vorgänger. Alles, was ich sagen will, ist das: Fallout 4 erzählt generisch wirkende Geschichten in einer unvergesslichen Welt. Fallout 3 und New Vegas erzählen unvergessliche Geschichten in einer von Zeit zu Zeit generisch aussehenden Welt.

  

Montag, 28. September 2015

Kameo: Elements of Power REVIEW

Woran denkt ihr, wenn ihr an Rare denkt? GoldenEye, wahrscheinlich. Perfect Dark, Donkey Kong Country, Banjo-Kazooie. Im Gegensatz zu diesen immer wieder genannten Klassikern ist Kameo vergleichsweise in Vergessenheit geraten. Und das total zu Unrecht. 



Bevor Microsoft Rare geschluckt hat, sollte das Muss-man-einfach-Liebhaben-Action-Adventure auf dem GameCube erscheinen. Irgendwie ein System, das viel besser als die Xbox 360 zu Kameo passt. In Kameo gerät man mitten hinein in den tausendfach erzählten Clash von Gut und Böse – irgendwas mit Orks und Elfen. Nicht so wichtig. Wichtiger: Kameo bringt diese typische Rare-Verschrobenheit mit, irgendwie ist hier fast jede Figur ein komischer Kauz. Wer sich Zeit nimmt, beobachtet Elfen-Ritter-Wachen-Typen dabei, wie sie albern zu doofer Jukebox-Musik tänzeln. Neben Dancemoves hat Kameo Formwandlung zu bieten – Kameo verwandelt sich einen Wasser-Blob, einen feuerroten Drachen (er heißt Ash – keck, was?), eine Pflanze mit Boxhandschuhen, einen stacheligen Felsenkerl und, und, und. Durch die Spezialfähigkeiten der Elementarkrieger gewinnen Kameos Kämpfe mit drolligem Troll-, Ork- und anderem Gesocks an spielerischem Reiz und erhalten enormen Charmefaktor – es macht einfach Spaß, als Major Ruin Trolle in Kugeln Klippen herabzuschießen (hat was vom Morph-Ball-Gameplay in Metroid Prime) oder mit Chillas Eiszapfen Ork-Bogenschützen in der Distanz einzufrieren. 



In klassischer Action-Adventure-Manier nutzt man die neuen Fähigkeiten, um tiefer in die Fantasy-Welt einzudringen. Plötzlich kann man über zuvor unpassierbare Pfade gehen, Felsgeröll wegsprengen oder sich an eigentümliche blaue Pflanzen haften, um Abgründe zu überwinden. Verbunden sind die Wald-, Winter- und Lava-Gebiete durch eine seltsam charmearme Oberwelt, in der die ganze Spieldauer über eine epische Schlacht stattfindet – wie Lord of the Rings in kitschig und kindisch. Manchmal muss man in dieses Helms-Klamm-Gehampel eingreifen und gigantische Katapulte schrotten. Na gut, das hätte Rare sich irgendwie auch sparen können. Trotzdem ist Kameo ein verdammt großartiges Action-Adventure und einer der ganz großen Rare-Titel. Liebevoll, mit einem im besten Sinne verspielten Gameplay, liebenswürdigen Charakteren, tollem Design, einem verträumten, grandiosen Soundtrack, facettenreichen Kämpfen und famosen Endgegnern. Es könnte länger sein, aber hey, wen stört das, wenn das, was man bekommt, derart formvollendet, eben Rare ist? Und wenn man fertig ist, kann man ja immer noch Starfox Adventures rauskramen.


Dienstag, 2. Juni 2015

Mad Max: Fury Road

You will ride eternal, shiny and chrome!



Mit Stacheln verzierte, wie motorisierte Festungen anmutende Fahrzeuge preschen als kriegstreibende Kolonne durch die Wüste. Ein Typ mit Gasmaske spielt auf seiner Flammenwerfer-Gitarre, begleitet von einem Quartett Drums spielender Freaks. Trommeln des Krieges, aber auch Steampunk-Roadshow. An Stangen kletternde Irre schwingen sich in unvernünftiger Höhe durch die staubtrockene Luft, um von Spikes verzierte Wagen zu entern und mit Kettensägen auf die Fahrer loszugehen. Eine Braut namens Imperator Furiosa schmiert sich Motorenöl als Kriegsbemalung auf die Stirn, einfach, weil sie kann. Verfolgt von Tausenden Psychos ein Mann namens Max, der kaum den Mund aufkriegt. Warum die War Boys den schweigsamen Krieger verfolgen, sie dauernd von Walhalla quatschen und sich Chrom ins Gesicht sprühen? Egal. Fury Road hat so viel Handlung wie ein Porno und beschränkt sich stattdessen auf das Wesentliche: Action. Eine zwei Stunden lange Symbiose visueller 3D-Postapokalypse-Opulenz zerfetzt die Augäpfel des Zuschauers, tunkt sie in Blut und Terpentin, frisst sie und spuckt sie in den Wüstenstaub. Nachdem Fury Road exakt 120 Minuten lang um sich geschlagen hat und vom Publikum nur noch Knochen und Hirnmasse übrig bleibt, wird der Film schreiend abgeführt. Die inhaltliche Leere fällt nicht ins Gewicht, dazu wird man zu sehr von einem halluzinogen Bildrausch verschlungen, in dem Tanklaster in Slow Motion zerbersten, verkrüppelte Amazonen im Wüstenstaub muskelbepackten Hünen die Scheiße aus dem Leib prügeln und seltsam angemalte Kinder gigantische Zahnräder antreiben. Schall und Rauch? Nein, mehr Kakophonie und Feuerbälle. Und einer der besten Actionfilme seit ewig – shiny, mit Chrom.  


  

Dienstag, 31. März 2015

Bloodline.

"Dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“


Ich habe ein Herz für Geschichten über verlorene Söhne. Mag daran liegen, dass ich mich selbst gern in dieser Rolle sehe. Fern, schwierig, missraten. Danny ist eins dieser Subjekte, das seinen Eltern Kopfzerbrechen bereitet. Einer dieser Menschen, über die andere oft sagen: He fucked up. Darum dreht sich das Ganze dann irgendwie auch: Danny, fucking things up. Anlässlich einer tollen Festivität - seine Eltern kriegen irgendeine irrelevante Auszeichnung, wenn mich nicht alles trügt - ist der Taugenichts zurück in Florida. Seine Familie besteht aus angesehenen Individuen, wobei von Anfang an klar ist, dass hinter der schicken Fassade nichts Gutes lauert. Bloodline bemüht fleißig das in den letzten Jahren inflationär eingesetzte Stilmittel der Vorwegnahme, was anfangs auch gut gelingt. In Off-Monologen wird das Geschehen von Dannys Bruder John resümiert und es wird schon eingangs verraten, dass eine große Katastrophe eintritt und die Geschwister Danny um die Ecke bringen. Über die ersten paar Episoden zieht das noch, ab der Hälfte versäumt Bloodline es dann aber, Twists und dramaturgisch Effektvolles einzuflechten. Hinter dem Mysterium, das Bloodline aufmacht, steckt wie so häufig nichts. Originalität der Writer sucht man vergebens, die ist anscheinend gemeinsam mit Danny im malerischen Ozean abgesoffen. Dabei hat Bloodline mit dem unverbrauchten Setting und der gelungenen, atmosphärischen Inszenierung, seinen Kontrasten zwischen den blendend hellen Musikvideo-Landschaften Floridas und den häufigen, stilvoll umgesetzten Nacht-und-Dunkelheit-Abschnitten eigentlich einiges zu bieten. Wer die gesamte Staffel guckt, wird Zeuge, wie dem Ganzen die Puste ausgeht und bedauert das wegen der guten Ansätze auch ein wenig. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Idee vielleicht einen 90-Minuten-Film trüge, nicht aber eine 13-Stunden-Serie. Am Ende der letzten Folge kramt man das obligatorische Ende mit Aussicht auf mehr hervor: Ein dummer, nervig aussehender Teenager watschelt an und entpuppt sich - Achtung - als verlorener Sohn. Eine alte Dame wird misstrauisch. Was ich aber noch loben möchte: Das Szenario fängt in seinen Bildern das zentrale Schein-und-Sein-Element des Familienkonflikts der Rayburns sehr gut ein. Menschen mit Fantasie und permanenter Unterbeschäftigung - that's me - können sich das alles ja auch ansehen und darüber fantasieren, wie man das besser hätte lösen können. Dafür lebt man ja eigentlich auch: observieren, wie es besser ginge. Und es dann für sich behalten.



Freitag, 30. Januar 2015

The Evil Within : Eindrücke


Damit hatte Sebastian Castellanos definitiv nicht gerechnet, als er, Joseph und Julie zum Tatort gerufen wurden. Klar, als Polizist hat er schon manch kranken Mist gesehen. Erlebt, was die Bestie Mensch sich gegenseitig so antut, wenn sie gelangweilt, verzweifelt oder einfach nur mit unvernünftig vielen Drogen vollgepumpt ist. Doch das hier spielt in einer ganz anderen Liga. Einer H.P.-Lovecraft-Wahnsinn-Liga, um genau zu sein. Es war beinahe zum Lachen, wie aus einem klischeehaften Horrorfilm – passiert schließlich nicht alle Tage, dass man im Dienst zu einer verlassenen Irrenanstalt gerufen wird. Nur, um vor dem Beacon Mental Hospital lauter leer stehende Polizeiwagen zu finden. Und jetzt starrt der Gesetzeshüter ungläubig auf den Monitor und betrachtet ein Band, das dem psychedelischen Video aus »The Ring« Konkurrenz machen könnte. Grobkörnig fängt die Überwachungskamera mit ihrem mechanischen Auge ein, wie drei Kollegen von Sebastian Schüsse aus ihren Handfeuerwaffen abgeben, als gäbe es dafür was zu gewinnen. Auf was zur Hölle sie da feuern? Erkennt der Bulle wegen des Kamerawinkels nicht. Dass der unsichtbare Kontrahent nicht zu Boden geht, ist indes eindeutig, denn das Dreiergespann ballert weiter aus allen Rohren. Ihre Kugeln so nutzlos, als wären sie aus Zuckerwatte. Der Vierte – was um alles in der Welt? Für einen Sekundenbruchteil wirkt es, als habe sich eine vierte Person zwischen ihnen manifestiert. Als geisterhafter Schatten, der erscheint, verschwindet, auf sie zurast und... unmöglich. Es muss eine Fehlfunktion der Kamera sein, denkt Sebastian noch, bevor ihn der Schlag auf den Hinterkopf mit dem Gesicht zuerst auf die Monitoranlage krachen lässt.


Klingt der Einstieg in »The Evil Within« noch nach gepflegtem Geisterschauder, gerät der Spieler rapide in eine nach unten geöffnete Spirale aus alptraumhaften, surrealen und beklemmenden Angst-Trips. Kein Wunder, bedenkt man, wer da die blutigen Fäden zieht: »Resident Evil«-Erfinder Shinji Mikami macht es sich mit diesem Survival-Horror-Titel zur Aufgabe, die pure Angst in Videospielform zurück aus dem Reich der Toten zu holen. Während der Beginn seines neuen Babys wie eine Mischung der Filme »Haunted Hill« und »Paranormal Activity« anmutet, fühlt sich das im nächsten Moment nach dem »Texas Chainsaw Massacre« an. Kopfüber baumelt der Protagonist von der Decke einer kargen Halle, gleich Vieh, das man zur Schlachtung präpariert hat. Während eine Ratte fiepend über den metallischen Boden huscht, wird Sebastian klar, wie zutreffend der Vergleich ist. Um ihn herum hängen Tote, ihre Gesichter erstarrt in einem schrecklichen Ausdruck unendlicher, gottloser Leere. Im Sichtfeld taucht ein Kerl mit der Statur eines Football-Spielers und der Vermummung eines Sadomaso-Pornostars auf und schleift beinah gelangweilt wirkend einen leblosen Körper hinter sich her. Aus Verfolgeransicht ergreift man als Spieler die einzige Chance, sobald der Killer vorbeigestiefelt ist. Mit dem Analogstick schwingt man in den Fesseln hin und her, bis man den armen Kerl erreicht und ihm ein Messer aus seiner erloschenen Hülle ziehen kann. Sobald man sich von den Fesseln befreit hat, reicht ein kurzer Blick auf die Umgebung, um zu realisieren:  man ist in einem Schlachthof. Geronnenes Blut überzieht die Wände, als litten diese unter Stigmata. Verschlingende Schatten kriechen über verrostete Metallgebilde, Kettensägen hängen von Wandhalterungen. So akribisch nebeneinander aufgereiht, erinnern sie an das Gebiss stählerner Bestien. Auf Knopfdruck wechselt man in eine geduckte Haltung und schleicht à la »The Last of Us« klammheimlich durch die Körpersaft-Fabrik. Denn der mysteriöse Entführer zerteilt an einem langen Tisch gerade die Überreste eines seiner unglückseligen Opfer – in unmittelbarer Nähe zum Helden. Während der Schleicheinlage zieren keinerlei störenden Bildschirmelemente den Schirm; auf die verzichtet Entwickler Tango Gameworks ganz bewusst, um die Atmosphäre nicht zu trüben. Nur bei Interaktionsmöglichkeiten erscheint eine kleine Einblendung der zu drückenden Taste. Etwa auf der Tür, die Castellanos plötzlich sichtet. Aufatmen? Mitnichten, das Ding ist abgeschlossen. Der Schlüssel befindet sich, wie sollte es anders sein, ausgerechnet in dem Raum, in dem der Schlachter-Hüne gerade am makaberen Werk ist. Aber auch, sobald der kleine Ausweg-Öffner stibitzt ist, bekommt der Detective keine Verschnaufpause. Ein Stolperdraht löst einen schrillen Alarm aus, eine Kettensäge kreischt und der Leichenfledderer hetzt in Leatherface-Manier hinter dir her. Der schmale Korridor fliegt an Sebastian vorbei, die atemlose Flucht lässt ihn den Schmerz in seinem geschundenen Körper kurzzeitig vergessen, als er durch eine Tür bricht – und sich ein Loch vor ihm auftut. Jenseits davon erstreckt sich die Stadt, in Schutt und Asche liegend. Ein wüstes Land.

Donnerstag, 1. Januar 2015

The Houses October Built Review


Ein Spukhaus ist in seinem Kern wie ein Horrorfilm: es versucht mit Hilfe von Tricks, Angst in uns hervorzurufen. The Houses October Built dreht sich um Kerle, die Spukhäuser lieben und weg wollen von den Disney-gerechten Haunted Houses, wie man sie überall findet, die auf der Suche sind nach der ultimativen Erfahrung von Angst. Der Film eröffnet mit einem Zitat eines Typen, dessen Namen ihr wahrscheinlich noch nie gehört habt. “I'm not afraid of werewolves or vampires or haunted hotels, I'm afraid of what real human beings to do other real human beings" nach Walter Jon Williams, einem Sci-Fi-Ami-Autoren. Die Handlung um einen Haufen Typen und ein Chick, die in einem Trailer auf der Suche nach besonders abgefahrenen Spukhäusern durch die USA gurken, ist ähnlich dünn wie die Gerippe der Plastik-Skelette, welche Letztere beheimaten. Bis auf diese in einen Satz passende Beschreibung muss man eigentlich nur noch wissen, dass der Handlungsverlauf der Zuschauer-Erwartung exakt entspricht. In der Exposition funktioniert das Konzept noch okay, obwohl einem die Haunted-House-Fanatiker von der ersten Sekunde an total egal sind. Figurenzeichnung, relevante Konflikte sucht man ebenso vergebens wie spinnenwebenfreie Ecken in einem Spukhaus. Dafür funktioniert die Inszenierung des Found-Footage-Road-Movies überwiegend gut. Während die gesichtslose Bande (einer hebt sich dadurch ab, dass er dick ist; dick und lustig; wo haben wir das schon mal in einem Film gesehen?) durchs Land tingelt, wetzen sie erwartungsgemäß durch diverse Gruselhütten voller kostümierter Erschrecker (wie üblich meist Clowns; was auf den Straßen Frankreichs funktioniert, sollte man nicht antasten). Während man sich im ersten Drittel des Films noch über die ansehnlichen Set-Pieces (an einer Stelle darf die Bande Paintballschießen auf Zombies machen. wundervoll!) freut und geflissentlich übersieht, dass die Charaktere null Prozent ausgearbeitet sind und sich an der Story neben dem völlig Vorhersehbaren nichts tut, werden letztere strukturelle Schwächen dem Film aber mit zunehmender Laufzeit zum Verhängnis.



Im Zuge ihrer Nachforschungen stoßen sie natürlich auf eine sagenumwobene Erschrecker-Bande. Die Typen (The Blue Skeleton) genießen in der Erschrecker-Szene (lustiges Wort) den Ruf, Grenzen zu überschreiten. Okay, und logischerweise geraten unsere identitätslosen Helden dann im letzten Abschnitt des Films in die Fänge der Blue Skeletons. Da ist man bereits gelangweilt, nachdem nach der Exposition dann irgendwie nicht viel kommt (ein paar halbherzige Scares, ein paar nette Set-Pieces, diverse maskierte Spukhäuser-Psychos, die einfach da stehen, die Gruppe anstarren und sie scheinbar stalken). Daraus hätte man eine mit perfider Originalität gespikte, die Zuschauerpsyche in einem Säurebad zersetzende Torture-Show machen können. Man hat sich aber dagegen entschieden und sich gedacht, man könnte ja auch einfach einen belanglosen Horror-Humbug als Endteil wählen. Das Ende (also das Ende-Ende) wirkt komplett uninspiriert und schneidet ins strukturelle Fleisch des Films. Gedärme, sadistische Ausschweifungen? Leider nein. In diesem Fall muss ich tatsächlich "leider" sagen, denn der komplette Film arbeitet auf die Idee einer ultimativen Erfahrung von Furcht hin. Wäre The Houses October Built selbst ein Spukhaus, würde einen das Filmteam in entgegengesetzter  Richtung durch seine Räumlichkeiten führen und einem zuerst den geilen Scheiß zeigen, bevor einem dann am höchsten Spannungspunkt die Toiletten gezeigt werden und man sich in eine Warteschlange am Eingang stellen muss.

Spukig sweet: Die Psycho-Tussi mit der Maske, die mitten in der Nacht vorm Trailer unserer Helden steht. Diese bitten sie aus mir unerfindlichen Gründen in den Wohnwagen herein. Sie sitzt dann da, sagt kein Wort, schreit zweimal lustig und geht wieder. Schön!

Spooky blödi: So viel verschenktes Potenzial. Der Film ist wie ich in einem Süßigkeitenladen und will alles, was in Geschmacklosigkeit resultiert.

Ich gebe 2,5 von 5 spukigen Spukhäusern.


Wusstet ihr, dass die Macher professioneller Filme 30 Prozent Tax Credit in Louisiana bekommen? Auch The Houses October Built spielt da. Wenn man das einmal weiß, fällt einem erstmal auf, dass ungefähr jeder 2. Film in Louisiana spielt.