Damit hatte Sebastian Castellanos definitiv nicht gerechnet, als er, Joseph und Julie zum Tatort gerufen wurden. Klar, als Polizist hat er schon manch kranken Mist gesehen. Erlebt, was die Bestie Mensch sich gegenseitig so antut, wenn sie gelangweilt, verzweifelt oder einfach nur mit unvernünftig vielen Drogen vollgepumpt ist. Doch das hier spielt in einer ganz anderen Liga. Einer H.P.-Lovecraft-Wahnsinn-Liga, um genau zu sein. Es war beinahe zum Lachen, wie aus einem klischeehaften Horrorfilm – passiert schließlich nicht alle Tage, dass man im Dienst zu einer verlassenen Irrenanstalt gerufen wird. Nur, um vor dem Beacon Mental Hospital lauter leer stehende Polizeiwagen zu finden. Und jetzt starrt der Gesetzeshüter ungläubig auf den Monitor und betrachtet ein Band, das dem psychedelischen Video aus »The Ring« Konkurrenz machen könnte. Grobkörnig fängt die Überwachungskamera mit ihrem mechanischen Auge ein, wie drei Kollegen von Sebastian Schüsse aus ihren Handfeuerwaffen abgeben, als gäbe es dafür was zu gewinnen. Auf was zur Hölle sie da feuern? Erkennt der Bulle wegen des Kamerawinkels nicht. Dass der unsichtbare Kontrahent nicht zu Boden geht, ist indes eindeutig, denn das Dreiergespann ballert weiter aus allen Rohren. Ihre Kugeln so nutzlos, als wären sie aus Zuckerwatte. Der Vierte – was um alles in der Welt? Für einen Sekundenbruchteil wirkt es, als habe sich eine vierte Person zwischen ihnen manifestiert. Als geisterhafter Schatten, der erscheint, verschwindet, auf sie zurast und... unmöglich. Es muss eine Fehlfunktion der Kamera sein, denkt Sebastian noch, bevor ihn der Schlag auf den Hinterkopf mit dem Gesicht zuerst auf die Monitoranlage krachen lässt.
Klingt der Einstieg in »The Evil Within« noch nach gepflegtem Geisterschauder, gerät der Spieler rapide in eine nach unten geöffnete Spirale aus alptraumhaften, surrealen und beklemmenden Angst-Trips. Kein Wunder, bedenkt man, wer da die blutigen Fäden zieht: »Resident Evil«-Erfinder Shinji Mikami macht es sich mit diesem Survival-Horror-Titel zur Aufgabe, die pure Angst in Videospielform zurück aus dem Reich der Toten zu holen. Während der Beginn seines neuen Babys wie eine Mischung der Filme »Haunted Hill« und »Paranormal Activity« anmutet, fühlt sich das im nächsten Moment nach dem »Texas Chainsaw Massacre« an. Kopfüber baumelt der Protagonist von der Decke einer kargen Halle, gleich Vieh, das man zur Schlachtung präpariert hat. Während eine Ratte fiepend über den metallischen Boden huscht, wird Sebastian klar, wie zutreffend der Vergleich ist. Um ihn herum hängen Tote, ihre Gesichter erstarrt in einem schrecklichen Ausdruck unendlicher, gottloser Leere. Im Sichtfeld taucht ein Kerl mit der Statur eines Football-Spielers und der Vermummung eines Sadomaso-Pornostars auf und schleift beinah gelangweilt wirkend einen leblosen Körper hinter sich her. Aus Verfolgeransicht ergreift man als Spieler die einzige Chance, sobald der Killer vorbeigestiefelt ist. Mit dem Analogstick schwingt man in den Fesseln hin und her, bis man den armen Kerl erreicht und ihm ein Messer aus seiner erloschenen Hülle ziehen kann. Sobald man sich von den Fesseln befreit hat, reicht ein kurzer Blick auf die Umgebung, um zu realisieren: man ist in einem Schlachthof. Geronnenes Blut überzieht die Wände, als litten diese unter Stigmata. Verschlingende Schatten kriechen über verrostete Metallgebilde, Kettensägen hängen von Wandhalterungen. So akribisch nebeneinander aufgereiht, erinnern sie an das Gebiss stählerner Bestien. Auf Knopfdruck wechselt man in eine geduckte Haltung und schleicht à la »The Last of Us« klammheimlich durch die Körpersaft-Fabrik. Denn der mysteriöse Entführer zerteilt an einem langen Tisch gerade die Überreste eines seiner unglückseligen Opfer – in unmittelbarer Nähe zum Helden. Während der Schleicheinlage zieren keinerlei störenden Bildschirmelemente den Schirm; auf die verzichtet Entwickler Tango Gameworks ganz bewusst, um die Atmosphäre nicht zu trüben. Nur bei Interaktionsmöglichkeiten erscheint eine kleine Einblendung der zu drückenden Taste. Etwa auf der Tür, die Castellanos plötzlich sichtet. Aufatmen? Mitnichten, das Ding ist abgeschlossen. Der Schlüssel befindet sich, wie sollte es anders sein, ausgerechnet in dem Raum, in dem der Schlachter-Hüne gerade am makaberen Werk ist. Aber auch, sobald der kleine Ausweg-Öffner stibitzt ist, bekommt der Detective keine Verschnaufpause. Ein Stolperdraht löst einen schrillen Alarm aus, eine Kettensäge kreischt und der Leichenfledderer hetzt in Leatherface-Manier hinter dir her. Der schmale Korridor fliegt an Sebastian vorbei, die atemlose Flucht lässt ihn den Schmerz in seinem geschundenen Körper kurzzeitig vergessen, als er durch eine Tür bricht – und sich ein Loch vor ihm auftut. Jenseits davon erstreckt sich die Stadt, in Schutt und Asche liegend. Ein wüstes Land.